INTERVIEW
Es gibt leider keine Patentrezepte.
Deka Private und Wealth traf Dr. Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländerkonjunktur und Branchenanalysen bei der DekaBank, zum Expertengespräch.
Herr Dr. Scheuerle, wie beurteilen Sie grundsätzlich die Zukunftsaussichten des Wirtschaftsstandortes Deutschlands?
Wir haben Mitte der 2000er Jahre das deutsche Jahrzehnt ausgerufen. Und das hat sich auch bewahrheitet. Es waren schon ein Stück weit die goldenen Jahre. Doch aktuell würde ich eher das verlorenen Jahrzehnt ausrufen.
Schaut man sich die jüngsten ifo-Zahlen an, sind die Unternehmen längst nicht so pessimistisch wie Sie.
Das darf man nicht verwechseln. Die Ifo-Zahlen sind Konjunktur und nicht Struktur. Wir werden in diesem Jahr sicher positive ifo-Geschäftsklima-Zahlen sehen, und sicher auch schlechte. Doch um was es mir geht, sind strukturelle Trends und nicht die Konjunktur.
Sie sprechen von den drei problematischen „D“s. Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung. Welche der drei Punkte macht Ihnen am meisten Sorgen?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich glaube, was uns am schnellsten auf die Füße fällt, sind die Themen Demografie und Dekarbonisierung.
Die Probleme hinsichtlich Demografie und Dekarbonisierung sind nachvollziehbar. Warum macht Ihnen das Thema Globalisierung Sorgen?
Nur kurz zur Einordnung: Deglobalisierung würde streng genommen bedeuten, dass wir das Rad zurückdrehen. Darum geht es aber nicht. Es geht vielmehr um eine Neuaufstellung beziehungsweise eine Veränderung der globalen Wirtschaft. Denn es hat sich gezeigt, dass eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen Regionen gewaltige Nachteile mit sich bringen kann. Wir haben das aktuell im Ukraine-Krieg und den hochschießenden Energiepreisen gesehen. Auch China muss in diesem Zusammenhang genannt werden. Stichwort Taiwan. Sollte es zu einem geopolitischen Konflikt, mit einer ähnlichen Reaktion des Westens kommen, dann würde die deutsche Wirtschaft ziemlich große Probleme bekommen. Und zwar in diesem Fall nicht nur auf der Beschaffungsseite, sondern auch auf der Absatzseite. Und deshalb heißt die Devise: Wir müssen uns resilienter aufstellen. Das bedeutet, dass wir uns nach Alternativen umschauen müssen und nicht nur auf ein Pferd setzen. Es geht um Diversifikation, nicht um Deglobalisierung.
Was ist mit dem Thema Dekarbonisierung? Warum ist das eine Bedrohung für Deutschland?
Es wird vor allem aus deutscher Sicht darauf ankommen, dass die klimaschützenden Maßnahmen weltweit umgesetzt werden. Es wäre ein Fehler, sich nur auf Deutschland zu konzentrieren. Der Nutzen von Investitionen und vor allem die Effekte für die Umwelt sind in anderen Länder wie China oder Indien viel größer. Hinzu kommt: Wenn wir hier in Deutschland erneuerbare Energien ausbauen wollen, dann ist das richtig und wichtig. Aber wir müssen auch die Anreize und die Rahmenbedingungen schaffen, um die für die Klimawende erforderliche Investitionen schnell genug durchzuführen, beispielsweise durch das Beschleunigen von Genehmigungsverfahren.
Können deutsche Unternehmen aus technologischer Sicht profitieren?
Teilweise. Wir waren ja bereits Marktführer im Bereich Solaranlagen und auch bei der Windkraft. Aber wir haben uns das aus der Hand nehmen lassen. Außerdem muss immer auch ein Markt für die Technologien da sein. Wenn Klimaschutz in einigen Ländern keine so bedeutende Rolle spielt wie hierzulande, dann werden beispielsweise klimaschonende Fahrzeuge aus Deutschland auch nicht nachgefragt, etwa weil dort fossile Energie immer noch günstig ist. Das bedeutet: Wenn wir allein vorangehen, ist das keine Garantie, dass sich das für deutsche Unternehmen auszahlen wird.
Wäre es nicht besser, die geschilderten Probleme auf EU-Ebene anzugehen?
Ja, das ist sinnvoll. Denn was man im Zusammenhang mit der Globalisierung nicht vergessen darf, ist der zunehmende Protektionismus, der auch ein Hemmschuh für die globale Handelsaktivität ist. Ein Land allein ist überfordert und hat zu wenig Marktmacht, um allein etwas zu erreichen. Das sieht bei einem großen Wirtschaftsraum wie der EU anders aus. Bei vielen Fragen geht es schlichtweg um die Finanzierbarkeit. Auch hierbei braucht man die EU.
Wie kann bzw. wie sollte man gegensteuern?
Es gibt leider keine Patentrezepte. Es handelt sich größtenteils um Probleme, die sich schon lange angekündigt haben, und die wir zu lange ignoriert haben. Selbst wenn wir jetzt einen Hebel umlegen würden, wären die Effekte nicht sofort spürbar. Bei der Demografie beispielsweise kann man sicher an ein paar Stellschrauben drehen. Man kann versuchen eine Zuwanderung von Fachkräften zu organisieren. Daran arbeitet die Bundesregierung ja auch gerade. Es klingt aber einfacher als es ist, denn Deutschland ist nicht die erste Wahl für gut ausgebildete Fachkräfte. Andere Maßnahmen wie eine bessere Familienpolitik zur Erhöhung der Geburtenrate zeigen ihre Wirkung erst viel zu spät, um schnell zu helfen. Solche langfristen Maßnahmen werden uns nicht bei der Lösung der kurz- und mittelfristigen Probleme nicht helfen.
Aber braucht es nicht grundlegende politische Reformen?
Die Reform Agenda 2010 war auf den damals sehr verkrusteten Arbeitsmarkt ausgerichtet. Die aktuellen Probleme sind weniger fokussiert, sondern umfassender. Im Prinzip bräuchten wir nicht ein Reformpaket, sondern wir benötigen gleich mehrere in den unterschiedlichsten Bereichen, und die sind zumeist auch unabhängig voneinander zu sehen. Wir müssen alle drei Baustellen, Demografie, Dekarbonisierung und Deglobalisierung zügig angehen, wobei der Staat am stärksten bei der Demografie und der Dekarbonisierung gefragt sein wird, was konkrete Weichenstellungen angeht.
Ihre Prognosen sind insgesamt sehr negativ. Wo gibt es für deutsche Unternehmen Lichtblicke?
Es klingt jetzt ein wenig wie das Pfeifen im Wald, aber wir haben in der Vergangenheit immer wieder gesehen, dass die deutschen Unternehmen extrem innovativ sind. Sie nehmen Herausforderungen an und setzen Entwicklungen relativ schnell um. Gerade die deutsche Industrie hat die Fähigkeit Probleme zu lösen und dies auch schnell zu tun. Das ist eine große Chance, die wir haben, gerade im Bereich der Dekarbonisierung. Diese Findigkeit wird auch bei der künftigen Diversifikation von Handelsbeziehungen helfen.
Hintergrundbeitrag zum Thema.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland fällt im internationalen Vergleich deutlich zurück. Das zeigt eine umfassende Untersuchung des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. Und mit Dekarbonisierung, Demografie und Deglobalisierung kommen weitere große Herausforderungen auf deutsche Unternehmen zu.
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